BGH, Urteil v. 09.10.2023 - VIa ZR 26/21 (2024)

BGHUrteil v. - VIa ZR 26/21

Haftung des Fahrzeugherstellers in einem sog. Dieselfall: Sorgfaltspflichten bei Verwendung von Motoren fremder Hersteller

Leitsatz

Einem Fahrzeughersteller, der für die Konstruktion des von ihm hergestellten Fahrzeugs Motoren fremder Hersteller verwendet, obliegen auch insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers (Anschluss an , VersR 1960, 855, 856; Urteil vom - VI ZR 192/73, NJW 1975, 1827, 1828; Urteil vom - VI ZR 247/75, VersR 1977, 839).

Gesetze: § 31 BGB, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007

Instanzenzug: Az: 16 U 95/20vorgehend Az: 24 O 61/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten VW Touareg V6 TDI. Den in dem Fahrzeug implementierten Dieselmotor hatte die Audi AG entwickelt und produziert. Die Beklagte hatte die EG-Typgenehmigung (Schadstoffklasse Euro 6) erwirkt und die EG-Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt. Der Motor ist mit einer Software zur Manipulation der Abgaswerte auf dem Prüfstand ausgestattet. Weiter verfügt die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs über ein Thermofenster.

3Der Kläger verlangt, gestützt auf die Prüfstands-Software und das Thermofenster, von der Beklagten, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat der Klage unter dem Gesichtspunkt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung zum großen Teil - unter Klageabweisung im Übrigen - stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 40.571,97 € (Kaufpreis abzüglich einer unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km berechneten Nutzungsentschädigung) nebst Prozesszinsen seit dem Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen.

4Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er Zahlung von weiteren 2.181,16 € zuzüglich Verzugszinsen seit dem ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt verlangt hat, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

5Die Revision hat zum überwiegenden Teil Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Zwar sei der im Fahrzeug verbaute Motor mit einer Motorsoftware ausgestattet, die im Prüfstand dafür sorge, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Stickoxidwerte eingehalten würden, während die Wirkung des Emissionskontrollsystems im realen Fahrbetrieb in unzulässigem Umfang verringert werde. Eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB scheide aber aus, weil der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt habe, dass die im Sinne von § 31 BGB für die Beklagte verantwortlich Handelnden die manipulative Überlistung der EG-Typgenehmigungsbehörde durch die eingesetzte Motorsoftware gekannt und gebilligt hätten. Die Beklagte sei in die Entwicklung der Motorsteuerungssoftware und des Motors selbst nicht eingebunden gewesen. Es sei ohne weiteres denkbar, dass ihr seitens der Audi AG der Motor ohne Aufklärung über den Einsatz der Motorsteuerungssoftware und ihre Funktionsweise überlassen worden sei.

8Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV hat das Berufungsgericht nicht geprüft.

II.

9Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

101. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

112. Das Berufungsgericht hat es jedoch rechtsfehlerhaft unterlassen, auf mögliche Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen eines fahrlässigen Verhaltens der Beklagten einzugehen. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ). Danach kann dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Dagegen hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Das Urteil ist jedoch insoweit aus anderen Gründen richtig, § 561 ZPO, als das Berufungsgericht auf die Berufung der Beklagten Zinsen für den versagt und auf die Berufung des Klägers Zinsen bis einschließlich dem nicht gewährt hat. Der Kläger hat die Beklagte mit seiner Mahnung vom nicht in Verzug gesetzt, weil er von der Beklagten Zahlung des gesamten Kaufpreises ohne Berücksichtigung von Nutzugsvorteilen gefordert und damit einen weit übersetzten Leistungsumfang geltend gemacht hat und die Beklagte aufgrund dieses Schreibens den wirklich geschuldeten Leistungsumfang nicht zuverlässig ermitteln konnte (vgl. , NJW 1991, 1286, 1288; Urteil vom - XI ZR 88/92, ZIP 1993, 421, 423 f.; Urteil vom - X ZR 157/05, NJW 2006, 3271, 3272). Prozesszinsen schuldet die Beklagte aus § 291 BGB aufgrund der Zustellung der Klage am erst ab dem ( VIa ZR 124/22, WM 2022, 2398 Rn. 31 mwN).

IV.

13Im Übrigen ist das Berufungsurteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

14Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Dabei wird es zu beachten haben, dass dem Fahrzeughersteller, der für die Konstruktion des von ihm hergestellten Fahrzeugs Motoren fremder Hersteller verwendet, auch insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers obliegen (vgl. , VersR 1960, 855, 856; Urteil vom - VI ZR 192/73, NJW 1975, 1827, 1828; Urteil vom - VI ZR 247/75, VersR 1977, 839).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:091023UVIAZR26.21.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 2690 Nr. 47
NJW 2023 S. 8 Nr. 48
WM 2023 S. 2190 Nr. 47
ZIP 2024 S. 1273 Nr. 22
UAAAJ-52393

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